Fette Doppelmoral

Dieser Text ist Teil 30 von 45 der Serie (Mein) Fett ist politisch

Diäten so richtig scheiße finden und zu betonen, dass mensch ja soooo viel esse – ein bisschen gehört das zu einer coolen Feministin™ heute dazu. Ein fettes veganes Buffett und die obligatorischen (Vulva-)Cupcakes – eröffnet mit dem Spruch „Riot, not Diet!“ – finden sich auf vielen queer-feministischen Partys. Viele kritisieren mit erhobener Faust Schönheitsnormen und beißen mit Genuss in den zweiten Double Chocolate Muffin.

Seit nun auch in hiesigen queer-feministischen Kontexten verstärkt über Themen wie der Diskriminierung von dicken_fetten Menschen gesprochen wird, generiert fat shaming – also das Abwerten und Beschämen von dicken_fetten Menschen und ihren Körpern – immer öfter öffentlich Kritik (aktuelles Beispiel: SPIEGEL ONLINE). So befassen sich mehr und mehr Menschen selbst_kritisch mit eigenen Vorstellungen eines – Achtung, Achtung: es folgen große, gesellschaftlich aufgeladene Wörter! – gesunden, fitten und schönen Körpers (argh, wie die Finger beim Tippen schmerzen!).

In meinem Comic „Fat Double Standards“ thematisiere ich etwas, was für viele Menschen schwieriger zu erkennen ist, nämlich wie unterschiedlich die Kritik an Schönheitsnormen gehört wird, je nachdem, wer welche Kritiken formuliert. Kurz beschrieben hatte ich das schon einmal in meinem Text „Fett am Strand. Ist das nicht voll ungesund?„:

Eine dünne Frau isst eine Pizza und findet Diäten “voll blöd”? Voll feministisch! Eine dicke Frau schleckt ein Eis und trägt einen hotten Bikini? Ab zur Ärztin, ist ja voll ungesund!!!

Irgendwann in den letzten Jahren ist es mir aufgefallen: Berühmte Schau­spielerinnen oder Künstlerinnen wie z.B. Lady Gaga, Lena Dunham oder Jennifer Lawrence werden medial und auch von feministischen Aktivist_innen kräftig abgefeiert, wenn sie öffentlich darüber sprechen, dass sie gerne Pizza essen oder Schönheitsideale auch nicht so knorke finden. Schwupps landen sie in viel rezipierten Listen, wie z.B. „Zehn Berühmtheiten, die großartige Ansichten zu Körperbildern vertreten“ (in denen, hüstel, fast nur weiße, schlanke und normschöne Frauen vorgestellt werden, quelle ironie!).

Hier wird Körpervielfalt gefeiert, ohne die Leute in den Mittelpunkt zu stellen, die auf Grund von Fettenfeindlichkeit und anderen Diskriminierungen ausgelacht, belästigt, pathologisiert und ausgegrenzt werden. Und ja, es ist toll, wenn Prominente aller Konfektionsgrößen sich feministisch äußern. Und trotzdem wünsche ich mir mehr fette Vorbilder, weil dann andere Lebensrealitäten und Perspektiven sichtbar werden.

queer fat double standards - september 2014
„Fat Double Standards“ von Magda Albrecht (zur Großansicht: Klick!)

Übersetzung des Comics: Links: Schlanke_r Queer-Feminist_in mit T-Shirt, wo draufsteht: „Große_r Esser_in“, umgeben von Zuschreibungen wie „Krawall, keine Diäten – so subversiv – Normen bekämpfen – isst zwei (!!!) Cupcakes – wirklich coole_r Feminist_in – so heiß, so radikal!“ Rechts: Dicke_r Queer-Feminist_in; umgeben von Zuschreibungen wie: „Faul – beste_r Freund_in (aber nicht Liebhaber_in) – nicht sexy genug für queere Sex Party – inaktiv – aufdringlich – ungesund – gierig – undiszipliniert – zu gewagt“

Das Comic ist im zweiten Teil von „Straying from the Big Q“ erschienen, ein Comic zu queeren Normen (in der Berliner queer-feministischen Szene), welches von der Comic-Künstlerin Henna Räsänen ins Leben gerufen wurde.

10 Kommentare zu „Fette Doppelmoral

  1. Danke für den Text und den Comiclesetipp!
    Das kenne ich auch im Zusammenhang mit Körperbehaarung. Nämlich, dass Frauen* mit wenig und/oder hellen Haaren gerne betonen, dass sie ja kein Problem damit hätten auch mal unenthaart rumzulaufen, so voll feministisch und selbstbewusst, „Ich bin da ja nicht so, mich stört das nicht…bla“. Und damit Leuten, die nicht so (normschön) privilegiert sind auch noch das Gefühl geben, sie seien nur nicht selbstbewusst genug und müssten da „einfach mal drüber stehen.“

  2. Hey!

    So wahr, ja so wahr! Ich freue mich riesig über alle Posts zu diesem Thema. Der Comic ist super. Und weiterhin: ich habe so tolle Bloggerinnen entdeckt dank Dir. Besonders Ragen Chastain hat es mir angetan (sie ist auch in der privilegierten/tollen Situation fast täglich bloggen zu können).

    Vielen 1000 Dank für diesen super wichtigen Aktivismus, den Du machst. Du und Katrin von reizende Rundungen seid meine Favoriten der deutschsprachigen fat acceptance Bloggerinnen. Ich wünschte wir wären hier auch schon so weit, wie in den USA mit dieser BürgerInnen-Bewegung. Umso mutiger ist das, was Du leistest, weil alles noch am Anfang steht und so viel Gegenwind (Euphemismus!) herrscht. DANKE für alles!

    Viele Grüße
    Esther

  3. Ihr Lieben, ich freue mich sehr über eure schönen Kommentare!!

    Und Esther, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich dein Kommentar freut! Das ist wirklich, wirklich ein ganz tolles Kompliment :)!! <3

  4. Naja, darüber zu schreiben und sich darüber zu mokieren, dass Scheinheiligkeiten voll doof sind (worin ich übereinstimme) ist das Eine, auch wirklich nach dem zu handeln, wonach man sich in seinem geschriebenen Text/Beitrag sehnt, das Andere. Habe leider die jahrelange Erfahrung gemacht, dass es als feministisch-handelnde/-denkende Frau total schick ist, dicke Frauen um des Frau-Seins-Willen zu akzeptieren, sich aber über den Gedanken, mit einer Fetten zusammen zu sein (mit Allem, was dazu gehört) dermaßen zu ekeln, daß diese dann doch lieber ihre Tofuwürste alleine schlemmen (um mal mit dem Klischee zu spielen, daß jede feministisch eingestellte Person vegan/vegetarisch lebt) …

  5. Anmerkung: Ich habe noch nie den Begriff „Bio“ im englischen Sprachraum gehört.
    Das wird dort als Organic Food bezeichnet.

    Deshalb wirkt das „Bio Eater“ im Comic etwas seltsam.

    Ansonsten guter Artikel. Triffts genau.

Kommentare sind geschlossen.

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