Die Feministische Feuerwehr

Fast jede Woche ist es wieder soweit: Ein Artikel, ein Buch, ein Video erscheint, in dem betont wird, wie schrecklich Feminist_innen seien und wie sehr der Mann von Heute (TM), nein, die Menschheit unter ihnen leide. Der eiserne Vorhang der Sexismuskritik drohe den Spass zu bremsen, und irgendjemand muss sich wieder sehr darüber empören, dass andere Menschen Misogynie anprangern, und mahnt daher gleich mal schreiend zu postfeministischer Gelassenheit, bis die femifaschistische Diskurspolizei der Gender-Weltverschwörung brutale Konsequenzen zieht durch ein erstes side eye.

Menschen verdienen ihr Geld mit solchen Publikationen, während auf viele jener, …nun ja…, Ergüsse dann feministische Aktivist_innen in ihrer Freizeit mit lakonischen Kommentaren bis detaillierten Widerlegungen reagieren – zum Beispiel auf Blogs oder bei Twitter. Da hier selten neue Argumente ausgetauscht werden, sind die Debatten zunehmend müßig: was gegen Machtgefälle (und damit einhergehend eben nicht „herrschaftsfreie“ Kommunikation) eher selten hilft, ist der zwanglose Zwang des besseren Arguments (…und dafür sind Betroffene ja auch viel zu subjektiv, nech…).

Das hindert viele jedoch nicht daran, Aktivist_innen konstant dazu aufzufordern, sich zum Beispiel der Widerlegung sexistischer oder rassistischer Texte zu widmen, während andere erst einmal abwarten möchten (wenngleich vielleicht wohlwollend nickend). Seien es obsessiv gesetzte Pingbacks oder konstante Lektüre-„Tipps“ von allies (Verbündeten): offenbar herrscht die kuriose Annahme vor, dass es so etwas wie eine Freiwillige Feministische Feuerwehr gäbe. Jene wird gerufen, wenn erneut die antifeministische Argumentationsschablone zum Einsatz kam und die Feministische Feuerwehr nun das Sexismusinferno löschen soll.

© sage_solar
© sage_solar

Jede Wo­che er­rei­chen mich Hin­wei­se auf sol­che Brand­her­de – manch­mal kom­men­tar­los oder zur Kennt­nis­nahme ge­schickt, manch­mal mit der ex­pli­zi­ten Auf­for­der­ung, da doch et­was „da­ge­gen“ zu machen. Ich bin im­mer wie­der ver­wun­dert über die­se un­auf­ge­for­der­ten Nach­rich­ten. Ei­ner­seits fin­de ich es toll, dass Leu­ten be­wusst ist, dass und wie Sexis­mus, Rassis­mus, Hetero­sexis­mus, … ge­sell­schaft­lich ver­an­kert sind und (auch) in den Me­dien re­pro­du­ziert wer­den. Es ist manchmal auch als Kom­pli­ment ge­meint, Men­schen, die sich des öfteren unter an­derem auf Blogs zu -istischen Fails äussern, zu fra­gen, ob sie dieses oder jenes Bei­spiel ge­nau­er ana­ly­sieren kön­nten. Viel­leicht gibt es bei man­chen allies auch Be­den­ken, sich sonst „vor­zu­drän­gen“.

Das Problem dabei ist jedoch, dass viele denken, dass zum Beispiel Antisexismus grundsätzlich die exklusive oder zumindest primäre Aufgabe von Frauen sei, und das rund um die Uhr. Dazu kommt noch, dass manche vielleicht meinen, Feminist_innen hätten täglich nichts Besseres zu tun, als auf akribische Sexismus-Spurensuche zu gehen, und man sie mit dem neuesten Beispiel überraschen und darin unterstützen könnte, endlich wieder etwas gefunden zu haben, anhand dessen man Sexismus aufzeigen kann. Aber hier kommt der Knaller: Aktivist_innen gehen nicht auf die Suche nach Diskriminierung. Diskriminierung holt Menschen ein, täglich; sie strukturiert diese Gesellschaft. Die neuesten -istischen Spitzen bekommt man durchaus mit, ob man möchte oder nicht – und sollte das mal nicht der Fall sein, ist es zumeist sowieso besser so. Wie gesagt: Neu ist an Sexismus oder Rassismus nichts.

Manchmal treffe ich die persönliche Entscheidung mich nicht zum Beispiel X zu äussern, da ich entweder keine Zeit, Lust oder Nerven dazu habe, immer wieder die deckungsgleiche Debatte zu führen und mich dabei zwangsweise geballter Ladungen hocherfreuten Sexismus‘ und Rassismus‘ aussetzen zu sollen. Dann ungefragt dazu aufgefordert zu werden, sich doch Texte, Plakate oder Serien anzugucken, um diese dann auseinanderzunehmen (oder, noch besser, gleich Zitate geschickt zu bekommen), ist daher nicht nur unsolidarisch, sondern macht einer_einem das Leben nicht leichter – ganz im Gegenteil. Für „Haste nich‘ gesehen?“ / „Kannste das glauben?“ / „Schreib doch mal was dazu, der_die hat X gesagt!“-Spam gibt es von mir meist keine Kekse, sondern ein genervtes Augenrollen. Das ist besonders dann der Fall, wenn „allies“ sich selbst nicht äussern wollen, um es sich entweder nicht mit bestimmten Cliquen zu verscherzen oder dem grundsätzlich anstehenden Backlash zu jeder (zum Beispiel) antisexistischen oder antirassistischen Äußerung selbst zu entgehen.

Sich gegen Sexismus zu engagieren ist aber kein Service, der nach Bedarf konsumiert werden kann. Es gibt keine Feministische Feuerwehr, deren Aufgabe es ist, auf Abruf bereitzustehen, wenn andere an ihre Grenzen stossen. Hinter den Blogs und Nicknames und Avataren stehen Personen. Man kann sich auch selbst informieren und sogar eigene Projekte starten. Jeder_jedem ally sei daher gesagt: feel free to step in anytime / schalte dich jederzeit gerne selbst ein; Unterstützung lebt von ihrer Praxis.

8 Kommentare zu „Die Feministische Feuerwehr

  1. Danke, danke, danke Accalmie, für diese so wichtige Durchsage. Für die ich selbst schon keine Energie mehr habe, stattdessen das ganze Füllhorn schillerndster Befindlichkeiten kartografiere jedesmal wenn ich derartige Aufforderungen/“Einsendungen“ an mich persönlich deutlich abweise. Du erklärst es in Deinem Artikel, und in diesem Fall finde ich die Erklärbärin gut und wichtig!

    Ich möchte hinzufügen: Ein weiterer furchtbarer Faktor bei den „haste schon gesehen wie schlimm“ Mails ist, dass die, die uns dergleichen „einsenden“ (Aktivist*n of Color = my personal Müllabladestelle) damit traurig deutlich zeigen, dass sie über keinerlei Empathie uns gegenüber verfügen, dass das Verhältnis also leider schon rassistisch gestört ist. Denn wie sonst käme frau/dude auf die Idee, eine ungefragt mit einer neuen Manifestation gesellschaftlicher Entmenschlichung ihr gegenüber zu konfrontieren, und nicht stattdessen wie es erwartbar wäre zuallererst Hemmungen zu haben, weil die Message die Empfängerin vielleicht – surprise – traurig machen, retraumatisieren, runterziehen, co-demütigen könnte? Jede dieser Mails sagt uns im Subtext aufs neue „du bist mir eigentlich wurst und dein unmittelbares Wohlbefinden unwichtig“. Und „Rassismus find ich nicht nicht sooo schlimm, dass ich ihn nicht einfach mal als guten-Morgen-Gruß rummailen kann ( weil er mich persönlich nicht zerstören kann)“. Und natürlich macht es weder Spaß noch Motivation noch irgendwas Gutes, mit solchen Messages erneut konfrontiert zu werden. Während die Absender_innen sich als superfighter feiern.

    Es ist leider immer noch nicht angekommen, absurderweise auch bei vielen feministischen Leuten nicht, dass Antirassismusarbeit von WoC verdammtnochmal kein „Betätigungsfeld“ ist sondern schlicht der Kampf um Anerkennung als PERSON. Die als solche -whoa- Gefühle hat und eben nicht in erster Linie sachdienlich, Projektionsfläche, fetischisierbar, nutzbar, vernachlässigbar ist. WoC kämpfen wenn sie möchten auf institutioneller Ebene. Es ist aber den meisten nicht klar, dass wir u.a. auch deshalb darum kämpfen müssen, weil sich viele Aktive oder „allies“ auf persönlicher Ebene exakt so verhalten wie der Rest der Gesellschaft, dass sie rassistische Machtverhältnisse in der Interaktion fröhlich unangetastet lassen, reproduzieren, manifestieren.
    Bis das nicht den sich selbst als aktivistisch/allies/soli Betrachtenden gedämmert ist, funktioniert der Kern von Rassismus, der tiefverwurzelte einseitige Empathiemangel (Empathie ist etwas anderes als gern unterstützen wollen), weiterhin, und so lange lässt sich auch für Rechte von WoC streiten und sie gleichzeitig in aller Selbstverständlichkeit wie Fußabstreifer behandeln. 

    @Alle, die den Impuls verspüren, einer* unaufgefordert einen Beleg für deren öffentliche Demütigung zuzusenden: spart Euch das, arbeitet stattdessen an Euch selber und eurem verkorksten preset von „wessen Gefühle ziehe ich gar nicht erst in Betracht“. Ihr habt es nötig.

  2. Auch ich stimme dem zu. Es ist halt recht leicht, Missstände, die einem aufgefallen sind, einfach an andere Leute „weiterzuleiten“: Man macht sich die Hände nicht schmutzig, muss sich nicht in Gefahr begeben, man muss noch nicht einmal aus dem Sessel aufstehen und wenn die anderen dann etwas getan haben, kann man sie sogar noch für Schiefgelaufenes kritisieren…
    So ein Verhalten ist zum…

    Ich glaube allerdings auch, dass Faulheit (oder Feigheit? oder Ignoranz?) eine größere Rolle spielt als Rassismus – und Faulheit generell als Anzeichen für Rassismus aufzufassen finde ich ein bisschen übertrieben.
    Ich selbst engagiere mich auch, aber auch meine Zeit ist begrenzt und so kann ich bei manchen Problemen eben auch nur darauf hinweisen, dass sie bestehen und hoffen, dass sich andere dieses Problems annehmen werden. Außerdem gibt es Problemfelder mit denen ich mich nicht auskenne. Dementsprechend frage ich lieber erfahrene Leute um Rat und bitte um Hilfe, bevor ich in blindem (oder zumindest uninformiertem) Aktionismus mehr kaputt mache als zu helfen.
    Man kann solche Mails auch als Anfang verstehen. Als Anfang eines Engagements. Vielleicht ist es für einige schüchterne und unerfahrene Leute ein erster Schritt auf dem Weg sich für eine gute Sache einzusetzen? Vielleicht wollen sie erst einmal von den Initiativen einer erfahrenen Person lernen? Vielleicht hab ich da aber auch die rosarote Brille auf…?

  3. @Noah: <3
    @Lea: Ich glaube da muss man unterscheiden: es mag Faulheit sein, sich z.B. nicht selbst mit neuesten rassistischen Vorfällen auseinandersetzen zu wollen, und daher Links zu verschicken. Das ist aber nur ein Aspekt (und es geht ja nicht (nur) darum, dass Menschen sich nicht nur nicht selbst zu -istischen Fails äussern, sondern, dass sie Betroffene mit Beispielen zutexten und zur Aktion auffordern). Was also auch hinter solcher Faulheit steht, ist genau das, was Noah sagte: es ist auch ein Zeichen des Mangels an grundlegender Empathie, und des Mangels an grundlegendem Verständnis dafür, dass es für z.B. von Rassismus betroffene Menschen dabei nicht um theoretische Auseinandersetzungen geht, sondern um deren Leben, um die Anerkennung als tatsächliche Person, und dass man mit jedem Link zu rassistischem Müll, den man an People of Color schickt, genau jenen nochmal reproduziert und sich dann zurücklehnt, statt dagegen anzugehen.

    Ich wiederhole hier nur Noah: sich gegen Rassismus zu engagieren ist für People of Color aber kein Hobby, keine „Meinung“, sondern dient dem (Über-)Leben. Antirassismus dann People of Color zu überlassen, sie noch dazu aufzufordern, „da doch mal was dagegen zu machen“, statt sich an die eigene Nase zu fassen, ist Teil des Problems, wie Noah beschrieb. Wenn Leute Angst haben, mehr kaputt zu machen durch ihr Engagement, dann kann doch die Lösung nicht sein, deshalb jenes PoC zu überlassen – mehr noch: PoC ständig zum Aktivismus aufzufordern -, sondern dann ist doch der nächste logische Schritt, sich selbst zu informieren und gerade das zu lesen/zuzuhören, was PoC seit Jahrhunderten schrieben/sagten. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine Ressourcen für Menschen, die sich dafür interessieren.

    Für mich ist der Anfang jeden Engagements, sich über etwas zu informieren – Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, durch Aufforderungen zur ständigen, kostenlosen Weiterbildung Nichtbetroffener zu belagern, gehört für mich dazu nicht. Und klar, zeitliche und nervliche Ressourcen sind begrenzt – aber genau daher sind solche im letzten Satz beschriebenen Aktionen besonders unsolidarisch.

  4. Ja, das stimmt. Auch wenn ich mit „erfahrene Leute“ gar nicht in erster Linie PoC oder andere Menschen, die einer bestimmten Diskriminierung ausgesetzt sind, meinte, sondern generell jede Person, die sich gegen eine bestimmte Diskriminierung engagiert.
    Ich hatte halt vermutet, dass die Mehrzahl solcher MailschreiberInnen eher von den Tipps erfahrener Menschen profitieren will, als einfach nur durch Faulheit (oder gar Rassismus) geprägt etwas weiterzuleiten. Aber da war ich mit meiner Vermutung wohl wirklich etwas jenseits der Realität…

  5. @Lea: Hm, ich glaube auch, dass Du damit auch Recht hast, dass manche z.B. von, wie Du schriebst, Tipps von Leuten profitieren möchten, die sich öfter mit etwas auseinandersetzen (daher ja auch der Satz im Text, dass manche Anfragen auch als Kompliment gemeint/formuliert werden). Ich finde aber, dass selbst wenn eine solche Anfrage dann an Leute/Gruppen käme, die nicht selbst z.B. von Sexismus betroffen sind, sich aber gegen Sexismus engagieren, sie immer noch problematisch ist: zum einen, weil das, was ich im Text beschreiben wollte, ja keine richtige „Anfrage“ in dem Sinne ist, sondern eine Aufforderung; zum anderen, weil dann „Engagement“ letztlich immer noch heisst, andere dazu anzuhalten, einen Service zu leisten – sei es durch die Weiterbildung einer Einzelperson oder durch Eingreifen in ein -istisches Szenario, während die Selbstverantwortung abgegeben wird.

  6. Sei vorsichtig was Du Dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen. In diesem Fall haben die allies genau das gemacht, was Ihr wollt: Euch den Raum nicht wegnehmen und sich in den Vordergrund stellen.

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